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Spiegeleier gelten - zu Unrecht - als das trivialste Gericht in unserer Küche, als Veranschaulichung der Unkenntnis im Kochen. Sie sind in der Tat von der Idee nicht besondes kompliziert, aber offensichtlich kompliziert genug, um ihnen einen Platz in den meisten Kochbüchern zu sichern, die sich mit der in der westlichen Welt üblichen Küche beschäftigen. Sie spiegeln (sic!) teilweise kulturelle Eigentümlichkeiten wieder und sind gelegentlich Anlaß für erbitterte Diskussion um die korrekte Art (Mit Kruste? Gewendet? Eigelb noch flüssig?). Es wird zusätzlich kompliziert, weil die Profis zwischen Spiegel- und Setzeier unterscheiden. Das, was wir gemeinhin Spiegelei nennen, ist ein Setzei, also ein Ei, das in der Pfanne gebraten wurde. Das Spiegelei hat demgegenüber einen milchigen Spiegel (aha!) auf dem Eigelb, den man erzielt, indem das Ei nicht nur Kontakthitze von unten, sondern auch Umgebungshitze von oben erhält. Das erfordert eine andere Zubereitungsweise. Selbst hier hört die Verwirrung nicht auf. Ich habe in meinem Kochbuchbestand folgende Rezepte bzw. Hinweise gefunden. Paul Bocuse
Die Neue Küche; Paul Bocuse; Manfred Pawlak Verlagsgesellschaft, Herrsching, 1977 Richard Hering
Richard Hering; Lexikon der Küche (Anerkanntes Nachschlagewerk für die Hotel- und Restaurationsküche etc.); Fachbuchverlag Dr. Pfanneberg & Co.; Giessen · Leipzig; 1993 Liselott Alverdes
Ich koche für Dich; Liselott Averdes; F. W. Peters Verlag GmbH; Berlin; ohne Jahresangabe, aber in Fraktur gesetzt und von der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt in Berlin gedruckt, also sicher nicht zeitgenössisch. Hervé This-BenckhardNehmen wir ein einfaches Beispiel, das Spiegelei. Sein Wasser birgt keine Überraschungen, es verhält sich normal. Ab einer Temperatur von etwa 100 Grad geht es in Dampf über; eventuell bilden sich Blasen. Die Proteinmoleküle hingegen erscheinen wie lange, vielfach gewundene Fäden, deren Struktur durch schwache intramolekulare Bindungen zwischen den Atomen bedingt ist. Beim Erhitzen brechen diese Bindungen; dank der Wärme treffen sie schon bald auf andere vereinsamte Kollegen, mit denen sie sich zusammentun können, selbst wenn sie nicht zum selben Molekül gehören. Wenn die Temperaturen im Spiegelei ansteigt, beginnen die Proteinknäuel also zunächst Ketten zu bilden (sie wickeln sich noch nicht auseinander; das Eiklar bleibt durchsichtig); dann baut sich ein Netz auf, dessen Maschen aus mehreren Proteinen bestehen. Es ist lichtundurchlässig, opak: Das Ei ist weich gekocht. Erhitzt man es weiter, so entrollen sich die Knäuel vollends, und das Wasser verdampft. Jetzt verbinden sich die Atome, die zuvor an Wasser gebunden waren, untereinander, so daß die geronnene Masse fest wird. Dieser Prozeß ist irreversibel: Die Weichheit und Elastizität eines richtig zubereiteten Spiegeleis sind unwiderbringlich dahin. Und die Moral? Man nehme die Spiegeleier vom Feuer, sobald ihr Eiklar dick und opak geworden ist. Jenseits dieser Grenze werden sie zu hart. Rätsel der Kochkunst; Hervé This-Benckhard; Piper Verlag GmbH, München; 1988. |